KABELBRAND IM OBERSTÜBCHEN

Der Mensch ist an und Pfirsich träge, will sagen ein Gewohnheitstier. Zum Bleistift werden einmal gewonnene Erkenntnisse bedauerlicherweise nicht in angemessener Regelmäßigkeit auf den Fortbestand ihrer Gültigkeit hin abgeklopft, sondern richten sich auf der Festplatte zwischen den Ohren häuslich ein. Gar selten betrachtet jemand das vergilbte Hochzeitsphoto um daraufhin das ungepflegte, misantrophische Stück Schöpfungskrone vor dem Fernseher zu fragen, was es in der eigenen Wohnung verloren habe. Was bleibt einem bei solcherart Verhalten Walter Ulbricht, als an blödsinnstriefenden, lautmalerischen Phrasen gefallen zu finden.

Wer allerdings die einmal geschossenen Polaroids hin und wieder mit dem aktuellen Bild vergleicht, dem wird auch die ein oder andere Differenz ins geistige Auge fallen. Was scheinbar niemand so recht wahr haben will ist, daß die Sehenswürdigkeiten unserer schönen Stadt Jahr um Jahr mehr verblassen. Schuld sind, in nicht geringem Maße, tatsächlich einmal die Ausländer, die uns nicht nur die Briefkästen leer fressen, sondern auch die Farbe vom Brandenburger Tor wegphotographieren. Besonders tun sich hier die Japaner hervor. Hat irgendwer schon mal einen Touristen aus dem Land des Lächelns gesehen, ohne mindestens eine Kleinbildkamera am Busen. Fortlaufend photographieren sie sich gegenseitig vor allem was nach sightseeing schreit. Wer mir mal eine richtig große Freude machen will, der schenke mir ein Album voller Bilder, von Japanern geknipst, auf denen ich als zufälliges Hintergrundmotiv erscheine. Abbildungen dieser Art dürften in die Hunderttausende gehen.
Schön wäre auch zu wissen, ob es nicht schon NIPPONinterne Wettbewerbe gibt, wer mich wie oft mit auf seinen Bildern hat. Und noch ein Gedanke drängt sich mir auf, hat doch bestimmt jeder japanische Tourist nur Fotos seiner Reisebegleitern mit Kamera am Bauch.
( Ob in Schmuddelmagazinen des Inselreiches junge Damen, die einfach alles zeigen auch mit dem Notwendigstem, nämlich einer Richtig aufs Zwerchfell schlug mir diesbezüglich das Leben, als ich unlängst meine durchaus, und das sagen auch andere, elegante Gestalt an einem Berliner Baudenkmal vorbei schleppte. Ein mandeläugiger Gast unserer Stadt hielt mich auf und machte mir, natürlich freundlich lächelnd, klar, daß er vor dem historischen Gemäuer abgelichtet zu werden begehrte. Da ich sowieso immer und überall zu spät bin und es mir an Herzensgüte nicht mangelt, komme ich seinem Wunsch nach. Von nun an wurde die Sache zu einem sensiblen Problem. Was der Leser nicht weiß, ich überrage das Bundesmittel um mindestens eine Handbreit, bin also nicht nur elastisch zu Fuß, sondern auch noch von stattlichem Wuchs, der Japaner nicht. So kam's, daß ich beim Blick durch das Objektiv mich zunächst für das Opfer eines dummen Streiches hielt, denn mein Motiv war verschwunden. Ich nahm das Auge vom Sucher und wie von Geisterhand war er wieder da, und lächelte. Ich begriff und peilte ihn erneut an. Möglichst unauffällig ging ich dabei in die Knie um den asiatischen Gast in seiner ganzen Pracht einzufangen, doch in einem Anfall von Unterbelichtung tat er es mir gleich. Wir setzten unsere Kniebeuge noch eine Weile fort, bis ich beinahe auf der Grasnarbe lag, dann durchschaute er die wohlmeinende Absicht meiner Gymnastik und blieb aufrecht stehen. Im Nachhinein ärgerlich, daß ich nicht gleich in aller Ignoranz ein Bild von diesem Schloß machte, mit seiner Stirn am unteren Bildrand. Die schönsten Ideen kommen doch immer zu spät.

Genauso wie: der gote