Geheime Konspirationen - Teil 2
Die zwei höchsten Ziele eines guten Journalisten sind zum einen das Er-kennen
von unzweifelhaft spektakulären Ereignissen, und zum anderen die Synthese
dieser zumeist unerlärlich erscheinenden Alltagserfahungen zu einer gut
aufgemachten Theorie, und zweitens eine sorgfältige Recherche der
Hintergründe und die Sichtung allen verfügbaren Materials zu der Thematik.
Letzteres ist in der Regel mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden und
erfordert viel Scharfsinn und ist deshalb in weiten Kreisen der
grauzoneRedaktion als allgemein unbeliebt zu bewerten.
Da wir jedoch seit
der letzten Medienanalyse wissen, daß die grauzone das Lifestyle-Magazin
mit dem höchten Anteil an jener Leserschaft ist, die mindestens zwei Drittel
ihrer Zeit unbeleckt wie Blindschleichen auf Benzedrin durch die Stadt
schlurchen, versuchen wir um so ernsthafter, unzweifelhaft spektakuläre
Ereignisse des Alltagslebens in Zusammenhang zu bringen, wodurch es uns ja
bereits in den letzten Ausgaben gelang, unser Scherflein zur deutschen
Theorienbildung beizutragen. Ich fasse also zusammen: fundamentale
gesellschaftliche
und physikalische Zusammenhänge,
die sich ohne allzugroße Mühe dem
Zugriff durch Euern Verstand entziehen, werden von uns erforscht
und populärwissenschaftlich aufbereitet an Euch weitergegeben.
Unsere wichtigste Waffe im Kampf
gegen das Chaos ist dabei unser Beobachtungstalent. Besonders des nachts, wenn die Sinne nicht nur geschärft, sondern geradezu berauscht sind, beweist sich die ungeteilte
Aufmerksamkeit als einzigartiges Mittel zur Registrierung und
Kategorisierung solcher schicksalhafter
Ursache-Wirkungs-Mechanismen.
Heute soll es uns um die Problematik eingeschränkter Mobilität gehen.
Und ich rede hier nicht über die morgentliche Unfähigkeit, mit den
vaporisierten Extremitäten auf den Wecker zu patschen, sondern über - von
organisierten Strukturen bewußt eingesetzte - Blockaden, die gerade den
alternativ eingestellten Menschen zu ausgewählten Unzeiten am Erreichen von
persönlich wichtigen geographischen Zielen hindern.
"Freie Fahrt für freie Bürger", ein
Motto aus den christlich-demokratischen Zeiten der Basisdemokratie,wird heutzutage zur Utopie.
Es gibt hierbei verschiedene Instrumente, die uns tagtäglich in unserer
Bewegungsfreiheit beschneiden. Das wohl beliebteste ist dabei der
Ersatzverkehr. Denn mit ihm gelingt es, ganze Massen von Fahrgästen vom Weg abzubringen. Bekannterweise liegen ja die Haltestellen eines
Schienenfahrzeugs in aller Regel nicht immer an selbigen des gummibereiften
Ersatzfahrzeugs. Zudem wird ein einfaches Übereinanderhalten der Fahrpläne
von beiden Verkehrsmitteln gegen eine Lichtquelle daran erinnern, daß
ersetzen eben auch nicht zwangsläufig beibehalten heißen muß... Diese
Erkenntnis führt neben enormen Zeitverlusten zumeist auch zu der
unbestimmten Ahnung, mal wieder richtig verarscht worden zu sein (mit allen
psychosomatischen Symptomen).
Diese "veränderte Linienführung"
ist der Familie der Umleitungen zu
zuordnen. Umleitungen lassen sich
bereits mit geringem Aufwand bewerkstelligen, so reichen in Fußgängerzonen schon einfache rot-weiße Plastikbänder aus, um das
Fußvolk erfolgreich auf die Socken
zu schicken. Gerne schickt man die
Fußgänger auch über Ton- und Lehmböden, wozu dann aber meist
die aufwendigere Form der Baustelle gewählt wird. Umleitungsinhalte
werden in solchem Zusammenhang
statt über Hinweisschilder lieber
per Bauhelfer-Verbal-Diarrhöe kommuniziert.
Und unsere Hauptstadtplaner haben das Verkehrshindernis Baustelle ja gewissermaßen
sublimiert. In der Metropole wird
aus der Wander- dann auch zumeist
die Wegelagerer-Baustelle.
Das bringt Stimmung im vierstelligen
Bereich und kann durch den Einsatz von verkehrsregelnden Polizeibeamten in angrenzenden Regionen
per Platzverweis zur Polonaise gesteigert werden. Umleitungsaktionen erzielen generell die höchsten
Effekte, wenn sie spontan wirken,
jedoch von langer Hand vorbereitet
sind. Das zeigte sich erst letzte Woche, als die Regierenden zum bislang größten Schlag ausholten:
nachdem am Potsdamer Platz bereits erfolgreich die Entsiedelung
innerstädtischer Grünanlagen demonstriert werden konnte, wurde
nun an der Prenzlauer/Ecke Mollstr.
der SuperGau inszeniert. Die Zerstörung einer Trinkwasser-Druck-
leitung erwies sich in der Tat als geschickter Schachzug, konnten
doch auf einen Schlag sowohl öffentliche als auch individualmobile
Lebensadern gekappt werden.
Daß
die eine ganze Kreuzung unterspülen, kann erstmal nicht verwundern,
das zahlen die ja nicht selbst, aber
es drängt sich doch die Frage auf,
welches Ziel hinter solchen Aktionen steht (ich weiß, für Euch stellt
sie sich heute zum erstenmal...)
Ich bin dieser Frage jedenfalls nachgegangen und habe ganz erstaunliche Zusammenhänge aufdecken können.
Gehen wir einmal logisch vor: das
Wort Bewegungsfreiheit enthält ja
prinzipiell schon zwei Bestandteile,
die jedes deutschstämmige Verfassungsorgan um den Schlaf bringen
müssen. Bewegung hat zwar Tradition, aber doch nicht jede/r wie sie/er
will! Ein Gewusel wie im Ameisenstall ist - das weiß jede/r, der/die
schon einmal in einen solchen gepinkelt hat - nicht unter Kontrolle
zu bringen. Was also liegt da näher,
als die Individuen umzuleiten,quasi
zu Verkehrsströmen zu bündeln -
wer rempelt nicht gerne mal einen
entgegenkommenden Passanten an,
aber schonmal gegen einen Verkehrsstrom geschwommen ?!Die Taktik ist klar:
je weniger Raum,
desto weniger Bewegung, und je weniger Bewegung, desto weniger Freiheit. Es
geht also um nichts geringeres, als um die Einschränkung unserer Freiheit !
Die Regierung und ihre Büttel versuchen, den öffentlichen Verkehr
(zu dem in diesem Fall auch individualmobilisierte Parteimitglieder
gehören) gezielt zu behindern, und
zwar mit möglichst gleichbleibendem Druck auf größere Flächen, so
daß die BürgerInnen nie erleben können, wie frei es sich in der Stadt
bewegen ließe. Dieser Druck ist
mitunter dermaßen stark, daß es zu
Freudensbekundungen kommen
kann, wenn nur noch drei von fünf
Straßenbahnen umgeleitet werden.
Gerade die jüngeren unter uns kennen nur diese eingeengte Bewegung und glauben einem schon garnicht mehr, wenn man von den alten Zeiten berichtet, als der Trabi
seinesgleichen auf der Straße noch
suchte, und die sozialistischen
Wanderbaustellen noch so träge waren, daß man nach einem Jahr
ihren Standort kannte und umfuhr.
Aber wir müssen gemeinsam die
Menschen aus ihrem Schlaf reißen,
müssen ihnen ihre Ketten vor Augen führen! Der Zustand uneingeschränkter Bewegungsfreiheit ist
keine Utopie. Der öffentliche Raum
ist geradezu darauf angelegt, daß
wir uns darin frei bewegen können.
Lassen wir uns nicht länger umleiten und bündeln, aufhalten und
blockieren ! Wir müssen gemeinsam diesen Skandal aufdecken, müssen uns
gegen verkehrsbegrenzende Maßnahmen des Staates und
seiner Büttel wehren !
Klärt Eure
Mitreisenden über die wahren Hintergründe von Straßensperrungen
und Umleitungen auf, fordert in
Sprechchören den Rückzug der
bestochenen Bauarbeiter und entwendet Material, das der Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit dienen könnte !
Seid so frei und bewegt Euch zu
den roguesteady beats of madness
in den Straßen und Gleisen der
Stadt. Erhöht den Pulsschlag - jetzt!
rog
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