Die Wahrheit: Du und Dein Hirn - Teil 1: Der Hirntod, spannend erzählt |
Rush hour im Synapsen-Verkehr."Nicht stehen bleiben" schreit ein Impuls,
und ich rase los, renne dabei fast einen guten Gedanken über den Haufen.
Sorry, keine Zeit für Erklärungen, ich haste durch den engen Kanal. Auf der
Überholspur fliege ich vorwärts, unterdrücke die aufsteigende Panik, als ich
einen Muskelreflex links liegen lasse. Das Gaspedal ist ins Bodenblech
getreten und ich spüre wachsende Lust in mir aufsteigen, die Spuren
verfliegen
im Rausch der Geschwindigkeit. Grüne Welle, und ich schließe die Augen.
Die Schwerkraft drückt mich, und liebkosend nimmt mich die Bewußtlosig
keit in ihre Arme. Schrillende Sirenen lassen mich hochschrecken, aber die
Transmitter-Polizei verschwindet im Dunkel meiner Rückspiegel, noch ehe
ich ihre Signale deuten kann. Ausfahrt Hypothalamus, ich werfe mich nach
rechts und verfehle nur knapp eine hormon-gepuschte Erregung, die in
epileptischer Verkrampfung ihr Leben auf dem Seitenstreifen aushaucht.
Ketten bunter Lichter explodieren in einer langen Geraden, bis ein Tunnel
mich in seine embryonale Dunkelheit aufnimmt. Ich schieße vorwärts,
getrieben von einer unaufhaltsamen Energie, jeder Knoten scheint mich voran
zu peitschen, in weitem Bogen umkreise ich die Hypophyse bis plötzlich das
vibrierend zuckende Leuchtfeuer des Mittelhirns am Horizont erstrahlt. Das
Tachometer verkündet den letzten Kreuzzug und ich überfahre mit
missionarischem Eifer ein paar heidnische Triebe, der Horizont verschwimmt
zu einer grünschwammigen Elypse, ich verpasse die letzte Abfahrt, und das
schmatzende Geschmiere zertrümmerten Gewebes läßt mich aus meinen Träumen
hochfahren. Ich durchstoße eine Zellwand und finde mich im Gegenverkehr
eines moralischen Gedankenflusses wieder. Ein Geisterfahrer im Hirnstrom,
ich reiße am Steuer, doch so mancher gute Wille muß dran glauben. Ich
schlängele mich durch auf mich zu schießende Glaubensbekenntnisse
Wahnvorstellungen erkenne ich die Silhouetten archaischer Instinkte, am
Sterben gehindert seit Jahrtausenden und in pendelnden Sturzflügen gleich
einem Echo hin und her geworfen zwischen den blutigen Zerklüftungen
abgestorbener Hirnfurchen. Holografische Fratzen traumatischer Erinnerungen
versuchen
mich mit verzerrten Gesichten zu umschlingen - Zeit die Kurve zu kratzen!
Wieder spritzt der Schleim zerschmetterten Nervengewebes über mich, als
ich durch das Stammhirn breche, ich beschleunige und fliege hoch hinaus in
das phosphoreszierende Fegefeuer religiöser Erregungszustände, breche mir
Bahn durch apokalyptische Visionen und drogengeschwängerte Wahrnehmungen.
Ich fliege vorbei an zusammengebrochenen Filtereinrichtungen, aus denen
Alarmstoffe austreten wie schwammiger Qualm, sich im gesamten Nervennetz
ausbreiten und den Datentransfer zum Erliegen bringen wie zäher
Schlamm. Schon sind die ersten Hauptverkehrsadern verstopft mit sich im
Todeskampf windenden Informationen, die sich zusammenklumpen zu schwärenden
Tumoren, die Hirnbahnen hallen wieder von den verzweifelten Schreien
absterbender Neurone und dem hilflosen Schmatzen kurzgeschlossener
Synapsenspalte. Chemikalien und Botenstoffe überfluten die interzellulären
Räume und sickern durch alle Ritzen, wie abgeschnittene Inseln schwimmen
die letzten gesunden Zellen, bevor auch sie vom reißenden Schwall der
verseuchten, blutdurchtränkten und eiweißverklebten Masse in den Tod gerissen
werden. Mit letzter Kraft durchstoße ich die Hirnhaut und komme gerade noch
rechtzeitig, um mit der fliehenden Seele dieses Grab zu verlassen.
+++ eine reportage von: rog +++
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