Ohne den leisesten Schimmer von der potentiellen moralischen Gefahr, in der
ich an jenem denkwürdigen Tag schwebte, trottete ich kurz vor 6.00 Uhr,
entsprechend benebelt, auf meine Baustelle in einem Kreuzberger Mietshaus.
Dort angekommen kämpfte ich gegen die in mir aufkeimende Übelkeit, (Tribut
an die vorangegangene Suffke-Nacht) und weigerte mich unbewußt gegen die
verbale Kontaktaufnahme durch den mir zugewiesenen Gesellen.
Selbiger war nicht gerade das, was man sich unter einem selbstbewußten,
großmäuligen Proll vorstellt, sondern eher so ein Nervenbündel mit latenter
Ausdrucksschwäche.
Jedenfalls verunsicherte ihn mein Schweigen ( ich grübelte, ob ich nicht
lieber gleich Kotzen gehen sollte ) dahingehend, daß er versuchte, dieses
mit einer Art Selbstunterhaltung zu übertönen.
Das die Situation durch sein Gebrabbel nur noch bedrohlicher wirkte, merkte
er wohl auch, allerdings sah er darin keinen Grund dieses an mich gerichtete
Selbstgespräch zu unterbrechen.
Stunden später gelangte er jedoch an die Grenzen seiner ohnehin nicht gerade
voluminösen Lebensgeschichte, doch da war es auch schon zu spät. Ich saß
fest mit ihm in dem engen und feuchten Keller des von uns zu bearbeitenden
Miethauses. Während ich am HA rumschraubte, beschäftigte er sich mit dem
Befestigen der Steiger an den KSV - Schienen. Wohlgemerkt keine allzu
anstrengende Arbeit, aber die drückende Stille und das sich in dem Hirn
meines Gesellen etablierende Vakuum trieben ihn an den Rand der
Verzweiflung. Und da er von mir noch immer keine Hoffnung erwarten konnte,
griff er zum letzten ihm verbleibenden Mittel:
Er stöhnte !
Er stöhnte im Takt seiner Arbeit, aber da diese so anstengend nicht war,
glich sein kurzer, gepresster Atem einer grottenschlechten Synchronisation
drittklassiger Pornofilme. Da ich mit dem Rücken zu ihm stand, konnte ich
nicht sehen, womit er sich gerade beschäftigte und ich malte mir die
dollsten Dinger aus. Wahrscheinlich machte er sich nicht nur an sich selbst
zu schaffen, das einhergehende Arbeitsgeräusch lies mich um die Reinheit
meines Werkzeugs fürchten. Ich mußte mir jedoch ins Gedächtnis rufen, daß
dies alles meine Schuld war und ich erlag dem Wunsch, Gnade vor Recht
ergehen zu lassen:
Ich stöhnte mit !
Nicht zu beschreiben ist die Woge der Glückseligkeit, die mein Geselle,
hocherfreut über eine Reaktion meinerseits, sofort in ein Stöhnen
orgastischer Qualität umsetzte. Auch ich lies mich nicht lumpen und gab
einige der Gerontopornographie entliehenden Laute zum Besten. Zusammen klang
das alles schon sehr amtlich, wovon ich mich in den Augen der Oma Schmidt
überzeugen konnte, die uns bei dem Versuch Kohlen zu holen mit Sicherheit
belauscht hatte.
Steiner
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