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Hauptsache unterwegs

Jeder Mensch tut sich als einzigartiges Individuum im Leben durch verschiedenste Taten mit ganz eigenen Extremamplituden auf der Blödigkeitsskala hervor. Am Donnerstag früh um sieben Uhr nach einer Stunde “Schlaf” mit der Bahn nach Nürnberg zu fahren, um dort einen Freund zu treffen, der sich gerade auf dem Weg nach Berlin befindet, nur um die gerade gekommenen xxx km mit ihm im Auto zurückzufahren, gehört wahrscheinlich in eben jene Kategorie. (Sie, lieber Leser, können selbst die Indizien in der Geschichte ausmachen, die zu diesem Schluß führten.)
Wie gesagt; nach einer Stunde Schlaf und ohne die exakte Abfahrtszeit unseres Zuges zu kennen, befanden wir uns zu zweit um zehn nach sieben am Bhf. Zoo, um festzustellen, daß unser Zug den Bahnhof soeben losfahrenderweise verlassen hatte. Am Informations- und Kartenverkaufsschalter teilte man uns mit, daß es die Möglichkeit gäbe, mit einer 2mal-Umsteige-und-50DM-teurer,-nämlich-180DM-Variante noch zum Zeitpunkt X in Nürnberg zu sein. Nach kurzer Beratung kamen wir zu dem Schluß, daß das Kind bereits im Brunnen sei und nahmen zwei One-Way-Tickets.
Ich will mich nicht damit aufhalten, zu erzählen, welche Perlen der ost- und westdeutschen Provinz wir besucht haben, bevor wir endlich in Nürnberg ankamen; irgendwann waren wir da, nachdem wir kurz vorher noch mit unserem Freund telefoniert hatten, der uns davon unterrichtete, daß sein Auto ca. 2km vor dem Bahnhof mit kaputter Lichtmaschine liegengeblieben sei. In Nürnberg nieselte es. Temperatur 2 Grad über Null.
Nach einigem Hin und Her, daß wir den sachkundigen Wegbeschreibungen der Ortsansässigen zu verdanken hatten, fanden wir unseren Mann frierend an einer Straßenecke. Wir beschlossen übereinstimmend erst einmal irgendwo zu frühstücken, da wir alle noch nichts gegessen hatten. Weil es aber mittlerweile ja auch schon 13 Uhr war und Nürnberg nicht Prenzlberg, mit seinem, auf faule Studenten abgestimmten Frühstücksangebot bis 17 Uhr, ist, war natürlich inzwischen Mittagskarte angesagt, die in der von uns gewählten Lokalität entweder Matjes oder “Saure Zipfel” bedeutete. Wir wählten den Matjes, nachdem wir erfahren hatten, was “Saure Zipfel” sind. Und ich persönlich kann auch die Matjes-Variante als Frühstück nicht uneingeschränkt empfehlen.
Zurück bei unserem nicht mehr fahrendem Untersatz folgte eine Reihe von Telefonaten mit diversen Pannendiensten, Autohäusern und Werkstätten, auch ein Spontan-Eintritt in den ADAC mit sofortiger Rettungswirkung wurde länger diskutiert. Schließlich und endlich zeigte sich das Schicksal gnädig und spielte uns die Telefonnummer des Renault-Autohauses Bronner in die Hände, die versprachen einen Mechaniker vorbeizuschicken. Die Stunden bis dahin verbrachten wir mit Auf-der-Stellen-Treten, Frieren, Rauchen und Kurzbesuchen in der Spelunke nebenan, wo die heimischen drei Stammgäste versuchten, uns in ein Gespräch zu verwickeln. Egal.
Irgendwann war unser Retter da, ein junger Typ mit drei Kreolen im rechten Ohr, schaute unsere Lichtmaschine an und erklärte deren Lebenszeit für beendet. Dann baute er eine volle Batterie ein, die uns befähigte, ihm aus eigener Kraft zur Werkstatt zu folgen, wo nun alles davon abhing, ob man unsere Lichtmaschine auf Lager hatte oder nicht, was in diesem Falle eine unfreiwillige und kostenintensive Übernachtung nach sich gezogen hätte. Doch noch einmal war Fortuna auf unserer Seite und so nahmen wir für die Dauer der Reparatur in einer Ecke des Verkaufsraumes zwischen blitzenden Autos platz. Während wir uns mit dem gratis angebotenen Tee/Kaffee aufwärmten, hatten wir sogar Gelegenheit, Herrn Bronner persönlich kennenzulernen und ein paar seiner privaten Urlaubserinnerungen zu erfahren.
Als dann die Rechnung kam wurde unser Fahrer noch einmal blaß, ob der zu zahlenden 760,-DM, doch kurze Zeit später befanden wir uns endlich auf dem Weg nach Berlin und hatten die erste Tüte am Start. Der Tag schien nun endlich in den geplanten Bahnen zu verlaufen.
Drei Tüten später machte sich dann auch endlich der fehlende Schlaf bemerkbar. Die ge-reizten Nerven fingen an, an den Knöppen zu drehen. Jede Autobahnbrücke wurde zu einem Tor, das in einen riesigen schwarzen Berg führte, in den wir geradewegs hineinfuhren. Das Auto begann zu leben, bewegte sich geschmeidig von einer Spur in die andere und knabberte nebenbei geräuschvoll an dem gerade laufendem Tape. Diesem wiederum entrang sich eine laute und schreckliche Musik, die mich glauben ließ, direkt neben einem gewaltigen Frauenchor zu stehen. Dem Munde des Fahrers entfuhren dämonische Worte, ohne daß er die Lippen bewegte. Sogar Luciano Pavarotti stand einmal mitten im Wagen, um zu singen. Irgendwann merkte ich, daß ich meine vor der Brust verschränkten Arme nicht mehr fühlen, geschweige denn bewegen konnte. Ja, der gesamte Rest meines Körpers war komplett unfühlbar geworden. Es war, als wäre er mit dem Sitz verschmolzen - Leder und Stahl, festgeschraubt an der Karosserie.
Als ich (gefühlte Zeit: Stunden später) wieder zaghaften Kontakt zu meinem Körper aufgenommen hatte, meldete dieser Bedarf nach oraler Befriedigung, worauf ich mich, zwischen Keks oder Bonbon gestellt, für eine Zigarette entschied. Inhalieren war noch nie so schön. Ich schaffte es sogar hin und wieder, etwas Asche in den Aschenbecher zu befördern - weiß Gott kein leichtes Unterfangen. Als dann noch ein großes leuchtendes Schild über der Autobahn auftauchte, auf dem stand: “Ende automatische Verkehrsbeeinflussung” fiel ich lautlos in Ohnmacht. Deshalb wird man über das Ende dieser Fahrt andere befragen müssen.

Gute Nacht.
hau

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