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Heimat, Hölle, Hippie-Party - Deutsche im Ethnoglück

Vielleicht hat sich schonmal jemand darüber gewundert, daß in der grauzone nie Konzerte reviewt werden. Vielleicht seid Ihr aber auch alle so abgeklärt, daß Ihr Euch über gar nichts mehr wundert. Dann muß ich ja auch nicht lang und breit erklären, warum in der grauzone nie Konzerte reviewt werden. Es hat jedenfalls gute Gründe. Konzert-Reviews sind quasi sowas wie ein Tabu in der grauzone. Da war es nun auch wirklich an der Zeit, diese guten Gründe und alles, was ein gutes altes Tabu so aus-zeichnet, über Bord zu werfen. Hier ist sie also: die allererste Konzert-Review in der grauzone. Um eventuellen Anfeindungen vorzubeugen, bestehe ich hiermit darauf, daß das in Folge beschriebene Konzert von mir - und möglicherweise nur von mir - tatsächlich und hundertprozentig meiner Schilderung ent-sprechend von mir erlebt und wahrgenommen wurde. Wenn also jemand u.U. ebenfalls dieses Konzert besucht hat, und andere Erinnerungen daran hegt oder sich durch meine bescheidenen Ausführungen gekränkt fühlt, so möge seine Zunge gelähmt sein, und sein Tod in Einsamkeit und von der Öffentlichkeit unbeachtet sich in stillem Kämmerlein unspektakulär und schmerzhaft vollziehen. Denn die grauzone schreibt die Wahrheit.

Es geschah also an einem Freitag im Juli, daß ich mich entschloß, eine in verschiedenen Stadtmagazinen viel gepriesene Reggae-Band aus Brasilien live zu erleben und zu diesem Zwecke ins Tempodrom zu fahren. Dort nämlich spielten Cidades Negras im Rahmen der “Heimatklänge”-Reihe. Da das Tempodrom und sein Klientel mir nicht unbekannt waren, erschien es mir von Vorteil, dort nicht alleine aufzutauchen. Da meine ehrenwerten Freunde aber keinen Reggae mögen (sie müssen verrückt sein) oder arbeiten gehen oder krank werden, wenn man sie braucht, mußte ich auf diesen Vorteil verzichten. Blieb nur noch, mich mittels Alkohol gute-Laune-technisch in Pool-Position zu bringen. Nun ist aber gerade das Tempodrom für seine Personen-Kontrollen am Einlaß bekannt. Ich kippte also schnell ein Sturzbier vor der Kasse und zahlte den Eintritt. Dann stand ich plötzlich auch schon drinnen und stellte fest, daß verdammt nochmal kein Schwein daran interessiert gewesen wäre, wenn ein paar Dosen-biere meine Innentaschen gewölbt hätten. Aber es wölbten keine Dosenbiere meine Innentaschen, und die Eintrittskarten des Tempodroms verlieren beim Verlassen ihre Gültigkeit. An dieser Stelle bekam ich das erste mal schlechte Laune. Ich kämpfte mich an Ethno-Ständen und Freßbuden (natürlich nur ethisch und ökologisch vertretbare Steaks und Rentner-pimmel) vorbei und betrat das Festzelt. Ich verließ das Festzelt wieder. Es roch ein wenig nach Räucherstäbchen. Oder treffender: irgendein verdammter Hippie hatte tonnenweise ekelhaft stinkendes Zeug an den Start gebracht, das mir schwer auf Atemwege und Stimmung schlug. Es half alles nichts, ich mußte mir mein erstes 0,3er Bier für fünf Mark erstehen (+2 Mark Pfand, versteht sich). Ich trank, hörte mir Reggae aus der Konserve an und versuchte mich in bessere Laune zu bringen. Was mir nicht gelang, weil ungefähr zwei Meter vor mir ein Pelztier stand, das permanent versuchte, mit mir eine visuelle Brücke von ´68 nach 2000 zu schlagen. Und er grinste dermaßen blöd und verständnisvoll, daß ich mir ausrechnete, wieviel Zeit es wohl bräuchte, diesem Kopf- und Gesichtsdschungel mit der Schere eines durchschnittlichen Leatherman-Tools beizukommen. Nun ja, die Band betrat die Bühne, und mein Bier war leer. Das Zelt füllte sich mit Menschen aus aller Herren Bundesländer, die begeistert jubelten, als der Ansager nochmals bestätigte, daß uns allen hier die Reggae-Band Number One aus Brasilien präsentiert würde. Nun hat man ja als normaler Perverser eine gesunde Abneigung gegen Number-One-Acts, zumindest in unseren Gefilden. Ich dachte mir aber nix Schlimmes, immerhin ist ja Brasilien nicht Deutschland, gell. Und ein wenig Gepose gehört ja zu einem guten Gig dazu. Was mich dann aber erwartete, machte mir auf einen Schlag klar, daß dieses Konzert nach einer Review schreit. Ich fange mal beim Sänger an: Mister Black Lover looking like Lenny Krävits singing like a cock without eggs and wearing sunglasses from the polish market. Der Basser: Gorilla Man from UB40 with the bass-guitar so deep hanging that you need really looong arms to play it wearing sunglasses which enable you to top those of the singer.
Der Keyborder: Mister White with a beard that looks like a bear ´round his eggs playing more synthesizers than an average brasilian citizen is able too pay for but using them only for sounds that already became boring with “Final Countdown” (looonger ago than the looongest arm of the Bass Man...). Der Drummer: der einzige coole Typ in der ganzen Band, bis auf die bescheidene Angewohnheit, sich jeden Pups bis hin zum Ein-stellen der Sitzhöhe von Roadies erledigen zu lassen (immerhin hat er seinen Arsch kurz angeho-ben, vielleicht wollte er aber auch nur mal richtig zu sehen sein), was mich zu dem Schluß verleitete, daß die ganze Band uncool war. Aber wir nähern uns ja noch dem Höhepunkt: dem Gitarristen. Es handelte sich hierbei nämlich um das Ergebnis einer Kreuzung zwischen Roberto Blanco und Jimmy Hendrix, und wenn jetzt jemand sagt, daß sei nicht vorstellbar, so hat er recht aber eben auch wieder nicht, denn was ich da auf der Bühne sah, war Onkel Tom Roberto, der ohne Lüge erst hinter´m Rücken und dann mit der Zunge ein Gitarrensolo vom Format eines der großen alten Herren hinlegte. Und danach eben wieder grinste, wie nur Roberto das hinkriegt. Es war göttlich, und am Bier kann´s nicht gelegen haben... Ja, das war also die Band: der größte Haufen Poser, der mir seit laaanger Zeit unter die Augen gekommen ist. Man muß ihnen allerdings lassen, daß ihre Musik zur Show gepaßt hat: poppiger, schmalziger Latino-Reggae vom feinsten. Echt schlecht. Dem Publikum hat´s natürlich super gut gefallen. Ich sah mich umzingelt von lockigen Jünglingen (die mit dem ist-gut-Schatz-heut-kümmer-ich-mich-um-die-Kinder-Blick), seelig dreinschauenden Emanzen, die ihren letzten Jamaica-Urlaub zu verarbeiten versuchten, den obligatorischen Oben-Ohne-Ragga-Muffin-Afros und häßlichen alten Provinz-Tussen, die sich an letzteren im Gedränge zu reiben pflegen. Und anscheinend an Leuten wie mir. Das dicke Stück neben mir trieb mich jedenfalls wieder zur Theke. Mit meinem zweiten Bier in der Hand (ich war jetzt sozusagen schon bei 0,6 Liter Bier !) genoß ich die Pausen-Musik, die unter uns gesagt wesentlich besser war als Brasiliens Number-One-Reggae-Band, sah mich aber auch sofort mit meinem nächsten Problem konfrontiert: ich hatte Dope, aber keine Blättchen. Was an sich kein Problem sein sollte. Wenn man aber eine wandelnde Ost-Berliner Haßmaschine umzingelt von den Auswüchsen der siebziger Jahre in Westdeutschland ist, fallen ganz neue Bewertungs-Kriterien ins Gewicht. Kurz: ich brachte es nicht über mich, irgendeinen um Blättchen zu bitten. Ich stand einfach nur wie gelähmt rum, trug mein Oire-Kinder-Ost-Berlin-Shirt zur Schau und wartete auf den Placebo-Effekt. Der kam aber nicht, statt dessen die zweite Runde schlechte Musik. Mein Bier war - Wunder oh Wunder - nach dem ersten Song schon wieder leer und eine gewisse dicke Frau bahnte sich ihren Weg zu mir, so daß mir wiederum nur die Flucht an die Theke blieb. Mein Pegel hätte nun auf 0,9 Liter Bier im Vergleich zu 15 Mark bezahlter Preis steigen können (womit letzterer den Lukas zu ungunsten des ersteren in alle Himmel schlug). Dazu kam es aber auch nicht, weil mir mein Bier im Gedränge aus der Hand fiel. Naja, wenigstens war ich an der nun einsetzenden schlechten Laune ausnahmsweise wenigstens mal selbst schuld. Der Abend war jedenfalls komplett im Arsch, und ich kratzte die Kurve, um die Nacht auf altbewährte Weise mit Büchsenbier und meinen Kumpels zu bestreiten. Und die Moral von der Geschichte: ein schlechtes Konzert, überteuertes Bier und politisch korrekte Wessis machen jeden schönen Abend zunichte.
rog

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