Hölle, diese Energie... |
Es ist schon erstaunlich, wie sich mancher Zeit Zufälle die Klinke reichen. In den wenigsten dieser Fälle
ist dies angenehm, aber manchmal stellt sich das Glück auch in der ärmsten Hütte ein.
Ich litt in der letzten Zeit unter einer Art Geschmacksdepression, was in einfachen Worten bedeutet, daß
ich keinen Gefallen mehr an den tagein und tagaus konsumierten Nahrungsgütern finden konnte. Das Brot
erweckte in mir schon in seiner Plastiktüte Widerwillen, und die Kombinationsmöglichkeiten der drei
genießbaren Beläge bei Penny ist ebenfalls mehr als begrenzt. Nun bin ich nicht der Typ, der ein
solches Problem ungelöst neben sich existieren läßt und begann die exotischsten und, da muß ich
einmal offen reden, auch die perversesten aller Geschmacksrichtungen in mein Ernährungsprogramm mit
aufzunehmen. Ich will da gar nicht unnötig ins Detail gehen, um nicht von den besten meiner Freunde
verstoßen zu werden, aber ein Produkt dieser neuen Kette verlangt es, von mir vorgestellt zu werden:
Ich bin nicht gerade das, was man einen Öko-Freak nennt, deshalb war ich auch nicht sonderlich von
den Socken, als mir mein Bruder eines Tages etwas überreichte, was der Art nach zu urteilen, wie er
es überreichte, etwas ganz besonderes sein mußte. Es sah vielmehr aus wie eine Art Ektoplasma,
dessen Konsistenz vielleicht der eines fast erstarrten Tapetenleims glich. Unter beschwörerischen
Formeln und Arbeitsanweisungen entfernte sich mein Bruder so rasch, wie er gekommen war und ich
stand mit diesem Etwas allein in unserer Keimküche. Da ich eh nicht wußte, wohin mit dem Teil,
dachte ich mir, daß es vielleicht das Beste sei, den Anweisungen meines Bruders gleich Folge zu
leisten, um so dem Aufräumproblem aus dem Weg zugehen und auch gleich einmal den Versuch zu wagen,
die unglaublichen angekündigten Eigenschaften dieses Dinges zu überprüfen. Ich begann, wie mir geheißen
ward, ein riesigen Topf mit Tee zu kochen und ihn mit einer Masse Zucker zu ertränken, die selbst mir,
als eingefleischter Zuckerfetischist die Fußnägel kräuselte. Nach dem Abkühlen applizierte ich den,
wie sich mein Bruder ausdrückte, Pilz auf dem Tee und sah gerade noch, wie auf dem Boden des Topfes
verschwand. Ich wartete die zwei Wochen, die mir mein Bruder auftrug zu warten und mußte bei den
gelegentlichen Verkostungen feststellen, daß sich eigentlich nichts tat, außer das dieser Tee
systematisch vergammelte. Ich konsultierte den Überbringer dieses Pilzes erneut und sein fachlicher
Rat war der, das ich das ganze wegschmeißen solle, und er brächte mir ein bei ihm neugewachsenes
Exemplar vorbei. Ich schluckte das erste Mal, als ich hörte, daß dieses Ding wächst und sich vermehrt,
was dem ganzen Müll schon einen Recht humanoiden Touch verlieh. Das zweite Mal schluckte ich als ich
das Ergebnis meines Fäulnisversuchs erblickte und sich ein riesiger schwarzer, warmer Gallerthaufen
meiner Aufmerksamkeit bemächtigte. Zu allem Überfluß entdeckte ich zwischen den Hirnlappen dieser
Biomasse die perfekte Nachbildung eines Nadelzweiges (mit Ast und Nadeln !). Verdammt, dachte ich
mir, dieses Zeugs kann genetische Codes generieren. Wenn den eines Nadelbaums, warum dann auch
nicht den eines Freaks? Ich ging der Frage nicht länger nach, sondern goß den Müll in die Toilette.
Ich will nicht soweit gehen, und behaupten, daß ich so etwas wie Trauer empfand, aber ich war
zumindest Willens, den Enkel dieses Pioniers mit mehr Aufmerksamkeit zu bedenken. Immerhin glaubte
ich, ohne nur einen Tropfen dieses noch zu entstehenden Getränks verköstigt zu haben, daß ich hier
an ein Ziel auf meiner Suche nach dem ultimativen Geschmack gelangt war, denn allein dieses mystische
Umfeld ließ mich an eine Seelenverwandtschaft mit diesem Getränk glauben.
Der nächste Versuch mit dem Enkelpilz meines Bruders wurde von mir auch entsprechend präzise in
Szene gesetzt. Ich informierte mich über die Mondphasen, gab die doppelte Menge an Zucker zu und
versuchte mich in den Pilz hineinzuversetzen und ihm viel Fruchtbarkeit bei seiner Fermentierung
zu wünschen. Welcher der drei Tricks nun funktioniert hat, vermag ich im Nachherein nicht mehr zu
sagen, aber als ich nach den besagten 12 Tagen einen Abguß tätigte, stand vor mir ein Glas mit
hellbrauner, sprudelnder Flüssigkeit, die etwas eigentümlich roch, aber einen durchaus gesunden
Eindruck hinterließ. Ich nahm ein kleines Schlückchen und mich durchfuhr ein Blitz unglaublicher
Energieentladungen! Ich dachte mir: Hölle, diese Energie...!und war total von den Socken.
Vitalisierend, auf welche Art auch immer dieses Gefühl hervorgerufen wird (will ich eigentlich
auch gar nicht wissen), ist die treffenste aller Beschreibungen, die mir zu diesem Getränk
einfällt und Kenner der Szene werden es sicher schon erraten haben, daß es sich hierbei um den
sagenumworbenen Kombucha-Pilz handelt. Nicht zu vergleichen mit der in den Geschäften erhältlichen
Fälschung, die zum einen viel zu teuer ( ich habe schon Halbliterflaschen für 8,-DM gesehen ),
und zum anderen auch kaum den magischen Inhalt besitzen könne, da diese Getränke bereits tot sind.
Ich habe in der folgenden Zeit viel mit diesem Pilz herumexperimentiert. Inzwischen, weiß ich
daß seine Wirkung eine Funktion von Zeit und Geschmack ist, und daß sich auch ungeahnte Effekte
mit der Zugabe von Honig oder Traubenzucker erreichen lassen. Ein bis dato unanalysierter
Gehalt an Alkohol stellt sich nach dem 14.Tag ein, der für ein Kippen des Geschmacks in Richtung
"sauer" sorgt. Aber, wer's mag.... Ich werde mich in Zukunft noch näher mit der Erforschung dieser
nicht ganz unerheblichen Eigenschaft beschäftigen. Neben den Selbstversuchen habe ich natürlich
auch Sekundärliteratur gewälzt und bin auf gar unglaubliche Attribute, die dem Kombucha
zugeschrieben werden, gestoßen. Hier ein Auszug: Dieses Getränkt
- verlängert eindeutig das Leben
- ist ein Heilmittel für Windpocken und Gürtelrose
- verringert die Faltenbildung
- beugt Krebs vor bzw. verhindert diesen
- stellt die Sehkraft wieder her
- stärkt die Beinmuskulatur
- heilt Arthritis
- verstärkt die Potenz
- heilt Geschwüre
- heilt Schweißflüsse, Verstopfung, Gelenk- und Rückenschmerzen
- stärkt die Nieren
- heilt grauen Star und Herzinfarkt
- fördert Appetit und Schlaflosigkeit
- vermindert Gallensteine und Störungen der Leber
- vermindert Fettleibigkeit und stoppt Durchfall
- verhindert die Reisekrankheit
- heilt Hämorrhoiden
- graues Haar dunkelt nach kahle Stellen wachsen
Es ist unglaublich, wie sich ein solches Unikat menschlichen Wohlergehens so versteckt sein
Dasein fristen kann, aber vielleicht ist es auch nur gewissen Leuten vorbehalten, Teil dieser
genetischen Umprogrammierung zu werden. Sollte sich aufgrund dieses Artikels Interessenten
finden, die den Versuch wagen wollen, die Natur herauszufordern, so bin ich gern bereit,
einen Urenkel meines Mutterpilzes zur Verfügung zu stellen, wenn ich mir nur gewiß sein
kann, daß er ein warmes Zuhause findet.....
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