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Chatten ohne Grenzen

Nachdem die letzte Ausgabe der Grauzone ja bereits die Tücken des E-Mail-Empfangs (insbesondere solcher, die von den Funktionen "CarbonCopy" und "Attachment" Gebrauch machen) ausreichend darlegt hat, soll an dieser Stelle ein weiteres Phänomen der modernen Massenkommunikation im WorldWideWeb dargestellt werden: der Chat.

Bereits das Wörterbuch weiß an dieser Stelle zu helfen, und umschreibt das englische Verb "chat" mit "plaudern", "schwatzen" und "sich zwanglos unterhalten". Gerade letzteres ist es dann wohl, was die sonst eher kontaktscheuen und mundfaulen Menschen unseres Planeten an den Bildschirm fesselt: im Grunde völlig anonym und nur durch einen selbst zu wählenden Namen für alle anderen identifizierbar, stürzt sich also der redegewandte und mit genügend Zeit bewaffnete Mensch der im Chat gesprochenen Sprache, des Lesens und des Auf-der-Tastatur-Schreibens mächtig in den Chat seiner Wahl.
Und "Wahl" wird an dieser Stelle großgeschrieben, denn mittlerweile gibt es wohl für nur jedes erdenkliche Thema, für jedes mögliche Hobby und für jedes noch so abgefahrene Interesse einen eigenen Chat von Britney Spears und Heino über Besteck im späten 16. Jahrhundert oder antiken Schubkarren, bis hin zu mir bis dato völlig unbekannten und nicht im entferntesten Sinne jemals erahnten - sexuellen Vorlieben oder umweltfreundlicher Möbelpflege.
Ist das gewünschte Interesse vertreten, loggt man sich ein, beginnt seine Meinung, den Spruch des Tages oder Informationen über das heutige Wetter preiszugeben und wartet darauf, dass irgendetwas passiert. Und genau dieses Warten ist es, was einen beim Chatten unbemerkt in eine andere, zeitliche Dimension versetzt, in der man - relativ gesehen - schneller altern würde, denn die Zeit vergeht rasend schnell. Ehe man es sich versieht, ist eine Stunde um, oder anders gesagt: für die Informationen, deren Übermittlung per Telefon oder im persönlichen Gespräch 5 Minuten in Anspuch nehmen würde, benötigt man im Chat eine halbe Stunde.
Und das, wo es doch so viele offiziell anerkannte Abkürzungen und sinnvolle Zeichenverknüpfungen gibt, die den Mit-Chattern in einer sowas von kurzen und präzisen Art sowohl Gestik, Mimik als auch gewisse Bewegungsabläufe und Zustände verdeutlichen, dass es schon fast erschreckend ist! Wer kennt sie nicht, die bis aufs nötigste reduzierten Doppelpunkt-Klammer-Zu-Smileys, auf deren Grundlage sich Leute mit definitiv zu viel Zeit tausende von Gesichtern ausgedacht haben, von Brillenträgern, Bill Clinton, siamesischen Zwillingen bis hin zu Australiern (-: , dem Weihnachtsmann oder einem Priester.
Und wo ich gerade dabei bin: Leute mit zu viel Zeit findet man überall. In jedem Chat. Einfach erkennbar aufgrund der bloßen und vor allem äußerst hoch frequentierten Anwesenheit. Immer! Diese Menschen sind einfach IMMER da, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit man erscheint. Das Hinterhältige dabei ist, dass sie oftmals nicht im eigentlichen Sinne "da" sind, sondern eben nur online, da solch häufige Anwesenheit mit einem normalen Tagesablauf natürlich nicht vereinbar ist. So weiß der clevere Chatter sich aber auch diesmal zu helfen, und ergänzt seinen Namen im Chat einfach mit der zur Zeit ausgeübten Tätigkeit, so wie "isst", "workt" (mit nichts-tuend-im-Büro-sitzend gleichzusetzen), "mails_schauen" oder einfach nur "away", "telefon", "liest", "schläft" (!) oder "afk" (away from keyboard). Viele meinen dann auch, den anderen auf diese Art und Weise mitteilen zu müssen, welche Musik sie gerade hören oder ob sie warm angezogen sind. Das Problem ist dabei nur, dass es niemanden interessiert und deshalb im Grunde auch nur zur Erregung von Aufmerksamkeit dient.
Was die sinnlose Anwesenheit im Chat betrifft, so hat für meine Begriffe schon vor einer Weile ein User den Chat-Vogel abgeschossen: dieser bleibt sogar während seines Spaziergangs mit dem Hund im Chat online! Da stellt sich mir nur die eine Frage: Warum zum Teufel??!??? Mehrere Dinge gleichzeitig zu machen ist ja nicht das Problem, Multitasking wird ja mittlerweile auch schon von einschlägigen Betriebssystemen unterstützt, aber wer isst, sollte essen und nicht chatten, wer nach Mails schaut, der ist eh beschäftigt, und wer telefoniert, "nebenbei" liest (dass ich nicht lache!), schläft oder gar die Wohnung verlässt, der muss seinem Internet-Provider doch dafür kein Geld zahlen, oder?!! Haben diese Leute neben zu viel Zeit etwa auch noch zu viel Geld?? Irgendwas muss ich wohl falsch gemacht haben…
nie mehr online: Daniel

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