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Nachbarn: The Devils In Disguise

Als sozio-kulturelles Blatt mit einem Gespür für gruppendynamische Prozesse und zwischenmenschliche Probleme ist die grauzone in der Vergangenheit zum Indikator für Kiez- Konflikte avanciert. Nachdem der nahe Osten und der Balkan als Sand-Kästen für westliche Medien-Manöver entlarvt wurden, richtet sich das öffentliche Augenmerk nun endlich auf den Schauplatz des unser aller Zukunft wohl am schlimmsten bedrohenden Krieges: die Nachbarschaft, Hort unaussprechlicher Gemeinheiten und hässlicher Meuchel-Attacken. So berichtete mein Kollege R.K. wiederholt von akustischen Übergriffen auf seine Privatsphäre, und der ehrenwerte (und werktätige) Kollege Hau eröffnete mit seinem erschreckenden Gedächtnisprotokoll in der letzten Ausgabe eine wahre Flut von Meldungen über Belästigungen am Wohnplatz. Die Resonanz aus der Leserschaft lässt uns an einer schonungslosen Berichterstattung festhalten. Hier also Teil 2 unserer Konkret-Reihe:
Nachbarn: The Devils In Disguise
Der Fall, den ich schildern möchte, gehört zu den typischen Erfahrungen mit terroristischen Rentnerinnen im direkten Wohnumfeld. Als ich 1997 in mein derzeitiges Domizil einzog, ahnte ich noch nicht, welche Tücken hinter frisch saniertem Beton lauern können. Voller Zuversicht blickte ich aus dem Fenster meiner komfortablen 25,46-qm-Einraumwohnung auf die Hundespielwiese vor dem Haus und den Parkplatz dahinter, briet und aß stehend ein Spiegelei oder lag einfach nur so rum.
Ich war glücklich, doch das sollte sich schon bald ändern. Und zwar mit jenem Augenblick, als ich meine gute alte Kompakt-Stereo an den Start brachte. Ich weiß nicht mehr, was lauter war: die Ramones oder das plötzliche Donnern aus meiner Zentralheizung. Um ehrlich zu sein, ich könnte nicht mal mehr mit Sicherheit sagen, was von beidem früher war. Meine Musik und das metallische Scheppern schienen nahtlos ineinander zu passen, als wollten sie mir sagen: uns zwei wirst du auch in Zukunft nur gemeinsam hören. Mit halbseitiger Lähmung sackte ich neben dem Volume-Regler zusammen. Und dann erinnerte ich mich: mein Vormieter hatte da etwas von einer alten Dame erzählt, welche in ihrer unendlichen Freizeit neue Maßstäbe in Sachen Geräuschempfindlichkeit gesetzt habe. Genauer gesagt, war er wegen ihr ausgezogen. Sie wohnte über ihm...
Auf den Schreck zwitscherte ich erst mal einen, und langsam kehrte meine Zuversicht zurück: ich bin ein umgänglicher Mensch, wenn ich Musik richtig laut hören will, gehe ich in ein Konzert, und alten Damen habe ich beim Zivi schon den Arsch abgewischt. Mein Vormieter dagegen war menschlich eine Niete, geradezu ein ungehobelter Klotz. 18jähriger BFC-Hool, so die Sorte: wenn er nicht soviel kiffen würde, dann würde er hier die Leute terrorisieren (und ich hätte mir den Wohnungsschlüssel nicht eine Stunde vor meinem Umzug aus seiner neuen Wohnung in Marzahn abholen müssen...). Die Sache war klar: mit ein bißchen nachbarschaftlicher Rücksicht, würden wir alle eine prima Hausgemeinschaft werden.
Das klappte auch ganz gut, hin und wieder polterte es im Heizungsrohr, ansonsten keine Probleme. Ich testete sogar altersgerechte Lieder wie „Santa Maria“ von Weiland Roland Kaiser. Zumindest nach 22:00 Uhr mochte die gute Frau auch dieses nicht hören. Ich verzichtete auf sozialen Umgang in meinen eigenen vier Wänden, schaffte meine Freundin ab und schlief nur noch auf dem Bauch. Und doch konnte ich nicht verhindern, was dann eines Tages wie eine Bombe in meinen Briefkasten platzte: ein mit Schreibmaschine geschriebener Zettel meiner alten Dame, in welchem sie mich aufforderte, mich erstens nicht mehr an ihrem Keller zu schaffen zu machen, zweitens nicht zu später Stunde mit meinen Freunden durchs Treppenhaus zu marodieren, und sie drittens nicht mehr mit meiner lauten Musik zu belästigen. Sie wüsste, daß ich hinter all diesem steckte („niemand sonst in diesem Haus würde so etwas tun !“), und wenn das kein Ende nähme, würden wir uns woanders wiedersehen. Ich brach weinend neben meinem Briefkasten zusammen. Und mit mir meine gesamte humanistische Erziehung. Schluß mit Nächstenliebe und Toleranz, ab diesem Tag beschloß ich, zurück zu schießen. Leider war die alte Dame aber nicht nur brutal im Verleumden, sondern auch weinerlich im Entschuldigen. Als Resultat dieser fiesen Doppelstrategie bin ich jetzt einmal im Monat bei ihr zum Kaffeetrinken eingeladen, kenne ihre halbe Lebensgeschichte und wage immer noch nicht, mehr als zwei Freunde gleichzeitig einzuladen. Neulich fragte sie mich einmal, ob ich auch immer dieses seltsame Brummen höre: so ein ...(an dieser Stelle formte sie mit Lippen und an den Gaumen gelegter Zunge ein leises, unangenehmes Summen)...? Ich tippte erstmal auf ihren Kühlschrank. Sie lehnte diese Idee rigoros ab und intensivierte stattdessen ihr Summen. Nun tippte ich auf schizoide Kopfgeräusche, verkniff mir jedoch, dies kund zu tun. Nur eins wurde mir sonnenklar: diese Frau würde mit Sicherheit auch von innen an einen IsolationsTank schlagen, um sich über die Party draußen zu beschweren. Es könnte still sein wie im Grab, und sie würde an ihrem Sarg lauschen, ob da nicht jemand mit dem Fahrrad am Friedhof vorbeifährt. Ja, ich saß in der Falle. Und ja, ich hatte bereits über einen Umzug nachgedacht. Doch wiederum nein, ich kriegte es nicht gebacken. So saß ich nun da, regungslos, und wartete auf das nächste Klöpfeln im Steigrohr. Nur eine Hoffnung blieb mir noch: daß der Kelch vielleicht einmal an mir vorübergehen könnte. Denn in letzter Zeit gerieten andere in ihr Fadenkreuz: der junge Mann über ihr („seine Freundin läuft anscheinend mit Holzpantoffeln durch die Wohnung, und sie lacht so fürchterlich affektiert !“), und der junge Mann unter mir. Im Augenblick schien ich noch ihre erste Wahl zu sein. Als zum Beispiel über ihr eine Party war, bearbeitete sie zuerst meine Decke (quasi ihren Fußboden). Nachdem sie mich auf diese Weise eine halbe Stunde wachgehalten hatte, vernahm ich über mir ein Stühle-Scharren und kurz später dann ein leiseres Pochen an ihrer Decke. Dann verließen ein paar junge Menschen das Haus und es war wieder still. Ein anderes mal schreckte mich wieder des nachts ihr Stahlgewitter auf. Erst nach langem Horchen registrierte ich eine leise Unterhaltung unter mir. Es hatte mich vorher nicht gestört, sie aber offensichtlich schon. Ich meine, ich schlief verdammt noch mal zwischen ihr und der Geräuschquelle, und diese Frau hielt mich tatsächlich erneut gute zwanzig Minuten mit ihrem Geklopfe wach bis dann auch unten die Leute gingen.
Doch jetzt kommt´s: vorgestern betrete ich mein Treppenhaus und finde an der Eingangstür einen Zettel, auf welchem steht: „An den Schreiber der anonymen Beschwerde-Briefe in meinem Briefkasten. Bitte wenden Sie sich doch direkt an mich, anstatt mit solchen billigen Zetteln. Es wird sich schon eine Lösung finden lassen.“ Von dem jungen Mann über ihr unterschrieben. Mein Herz machte einen kleinen aber feinen Freudensprung. Nicht nur, daß ich wußte, wer da als anonymer Schreiber bezeichnet wurde, nein, dieses Schriftstück galt mir als Beweis, daß die schwarze Wolke weitergewandert war. Ich habe den Staffelstab weitergereicht, ich bin aus dem Schneider, das Leben hat mich wieder! Natürlich ist es ungerecht, den schwarzen Peter einfach weiterzuschieben. Aber drauf geschissen, Pech gehabt, Alter, den letzten beißen die Hunde. Und selbst wenn ich weiß, daß in Zukunft jemand anderes für meine Taten bluten muß: die Ramones werden jetzt wieder laut gehört und nicht nur die !
PS: Be prepared when your neighbor starts the war !

armed: rog

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