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Haut, Haar, Leib und Leben - Die Ostdeutschen und ich

Von meinem letzten Besuch in meiner westdeutschen Heimat brachte ich folgende Erkenntnis mit: Die Ostdeutschen treiben im Osten ihren bitterbösen Schabernack mit durchaus wohlmeinenden, zugezogenen Westlern. Diese werden mittels Psychoterror von ihren frischgewählten Wohnorten vergrault. Vom Feinsten! Und das, obwohl man sie gut gebrauchen könnte, die vereinigungswütigen Zugezogenen in den strukturschwachen Gebieten! Um Aufbauarbeit zu leisten! Zu investieren! Sich anzunähern! Voneinander zu lernen! Aber nein, nichts wollen sie lernen, das sture Ostlerpack. Lieber bespucken und demütigen sie, was ihnen unter die Augen kommt und keine Jogginghose anhat. Ostdeutscher Haß gegen Westler ist niederträchtig. Es wird gehaßt, was das Zeug hält. Und das Zeug hält viel!

Es war nämlich so: Ich war Gast auf einer Party in Hessen. Diese war angesichts der späten Stunde schon etwas abgeklungen und ich beeilte mich, den Apfelweinbestand zu mindern, um mich etwas mehr als Partygast und etwas weniger als unbeteiligte Beobachterin zu fühlen. Ich führte vereinzelte, nicht abwendbare Smalltalkgespräche mit Uralt-Bekannten, die nach angemessener Zeit für „was-machst-du-denn-eigentlich-jetzt?“ und „ach-was?“ ungeschickt von mir beendet wurden. Auch versuchte ich vergeblich, die Aufmerksamkeit meiner von Verehrern umringten, geburtstag-habenden Freundin zu gewinnen. Zwischendurch stand ich mit meinem ostdeutschen Begleiter herum.

Dann begann das Ereignis: Ich wurde von einem Sozialarbeiter angesprochen, der gehört hatte, daß ich, Freundin der Geburtstag-habenden, aus BERLIN angereist sei! Alsbald begann er (wie viele in westdeutschen Kleinstädten hängengebliebene Hauptstadt-Liebäugler), seine Meinung zu Berlin und der dort stattgefunden habenden Wiedervereinigung zu äußern. Die Wiedervereinigung hat sich in Hessen nämlich nicht vollzogen & die ZONE ist dort ein Mythos. Existiert quasi nur im Fernsehn. Meine Mutter beispielsweise war 1997 noch der Ansicht, Rolltreppen seien eine solch fortschrittlich-luxuriöse Erfindung, daß sie in der ZONE bestimmt nicht vorgekommen sein konnten. Seitdem horche ich - in vorfreudiger Erwartung auf ähnlich wahnwitziges Material - auf, wenn im Westen vom Osten gesprochen wird.
Ich hörte dem Sozialarbeiter zu. Er brüllte mir ins Ohr, es war unangenehm. Er selbst mag ja die Ossis nicht. So verbohrt und gar nicht weltoffen. Wenn man schon mit denen redet! Hat er selbst erlebt. Gaanz böse sind sie gewesen. Und die Jugendlichen! alle Skinheads, alle Nazis. Die hätten lieber mal ihren eigenen Scheißstaat aufmachen sollen. (Ich schaute kurz rüber zu meinem ostdeutschen Begleiter und überprüfte die ungemein provokante These des Hessen: Kurzhaarig: stimmt. Hosenträger: proletarisch. Stiefel. Beängstigend.) Alles in allem sei Ostdeutschland als Wohngegend für Wessis natürlich indiskutabel. Belege für diese Thesen stünden im SPIEGEL. Dort habe auch dringestanden, daß zugezogene Westler vom bösen, rassistischen Ostvolk so thyrannisiert worden seinen, daß sie, um Haut & Haar, Leib & Leben zu retten, enttäuscht zurückgekehrt seien. Nach einer Phase aufgeregter Empörung und dem fehlgeschlagenen Ansatz perspektivenerweiternder Aufklärung entschloß ich mich dazu, mir den Abend nicht zu verderben und den Typen auszulachen.

Zurück in Berlin frühstückte ich eines Sonntags auswärts (wieder mit dem Bestiefelten) und fand zufällig den SPIEGEL Nr. 43/1999. Und wie jede(r) weiß, lügen ja Zeitungen nicht. Wo kömen wir denn da hin. Drin, im SPIEGEL, befand sich bereits erwähnter Artikel, der da hieß: „Geht doch wieder rüber!“. Untertitel: (...) „Viele Westdeutsche, die in den Osten zugen, haben ihn fürchten gelernt - und flüchten zurück.“ Da lernte ich z.B., daß Brieselang, welches als Beispielort für den unbarmherzigen Terror an Westlern ausgewählt wurde, „eine Häuseransammlung im märkischen Sand.“ sei und „weit draußen vor den Toren Berlins“ liege - das heißt sozusagen, mitten IN der GefahrenZONE. Bis dahin klingt es harmlos. Ist es aber nicht! Denn: „Hier hatte die West-Berlinerin Marianne T., 47, (...) ein Haus im Grünen gefunden und sich, um nicht als Wessi unangenehm aufzufallen, den neuen Nachbarn mit Kleidung und Frisur derart angepaßt, daß ein ebenfalls zugezogener Friseur aus dem Westen [sie] für die erste Osterin hielt, mit der er gut reden konnte.“ Das war aber schlau von der Frau, daß sie von einem Westfriseur eine Ostfrisur hat machen lassen. Aber: Der Kontakt mit Ostdeutschen sei von Klagen, „daß ihnen das Leben heute gar nicht gefalle“ bestimmt gewesen. Und ihr Sohn Dominique sei - obwohl er sich die Haare kurz schneiden ließ und Jogging-Anzüge wie seine Ost-Mitschüler trug - als ‘verwöhnte Wessi-Sau’ beschimpft worden.“

Es war also doch wahr! Und ich war all die Jahre über blind gewesen! Plötzlich hatte der SPIEGEL die Lichter angeschaltet! Es gibt tatsächlich nichts zu lachen für Westler im Osten! Gemeines Pack, überall! Nehmen wir als lokales Beispiel das wb13. Zu Besuch im wb13 bekommen Westler nur verseuchten Apfelsaft zu trinken, der - da er schon angefangen hat, zu gären, als Apfelwein ausgegeben wird. Nach Berliner Pilsener zu fragen, lohnt sich nicht und den vergifteten Saft muß man sofort auf der Toilette ausspucken, sonst stirbt man. Nicht nur, daß das WB13 durch seine militärisch-braungrüne Innenraumgestaltung keinen Zweifel an seiner militanten Ausrichtung läßt, auch diverse Accessoires im Thresenbereich geben Anlaß zu schrecklichen Vermutungen. Zufällig bin ich kürzlich auf der Suche nach Toilettenpapier fürs Frauenklo im (wahrscheinlich geheimen) WB13-Lagerraum gelandet, wo neben diversen Waffen, selbstgebauten Bomben und westlerfeindlichem Propagandamaterial, erschreckenden Aktionsberichten und (wahrscheinlich von Leichen eingewanderter Wessis) geraubte Pässe sowie Schmuck und Goldzähne zu finden waren. Ich war geschockt und versuchte, mich durchs Fenster aus dem Staub zu machen, als ich hinter mir das Geschrei von Tieren hörte: Eine Henne flatterte mir kreischend durch die offene Tür hinterher, ihr folgend, einer, der als Schläger bekannt ist. Ich rannte, wurde aber eingeholt. Ein uniformierter Exzentriker, Kinski oder Zinski oder so ähnlich mit düsterem Blick verhörte uns alle. Zum Glück bin ich heil aus der Situation herausgekommen, weil ich weiß, was eine Schrippe ist. Das war nämlich die Fangfrage, mit der sie herausfinden wollten, ob ich eine von ihnen bin. Aber nachdem ich mich jetzt geoutet habe, kann ich nie wieder dort auftauchen! Dabei gefallen mir die Ostler - sie sind so wunderbar kompromißlos. A.Z.

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