Seitenende

Inhalt

Home

Akustiksumpf meloriert

Vom Regen in die Traufe war mein zweiter Gedanke, als ich zum wiederholten Male unfreiwillig Gast einer Probe wurde, die ambitionierte Musiker irgendwo in diesem Haus abhielten. Ich war also aus einer harmonischen WG mit Familienanschluß und Badewanne, Spülautomat und Gasetagenheizung ausgezogen, weil es mich störte, daß ich im Zünd-Takt der vorbeifahrenden Brummis in meinem Bett erzitterte und alle Straßenbahnen, die die Berliner Allee passieren, praktisch durch mein Zimmer fuhren. Aber hatte ich diesen Luxus wirklich gegen das Foyer eines Proberaumes eingetauscht ?!
Da ich mich zuweilen, wenn auch auf sehr amateurhaften Pfaden, selbst dem musizieren widme, ließ ich zunächst Verständnis walten für die Zwänge, die eine Band zuweilen bedrängen und die in aller Regel zuerst Gestalt in Form von Proberaumknappheit annehmen. Dem Recht auf Ruhe in den eigenen vier Wänden wich also meine Gnade. Ich aalte mich sogar etwas in meiner Großmütigkeit.
Man mag es sich kaum eingestehen, aber man wird älter und mögen es manche auch bestreiten so wird man leider auch Stück für Stü ck ein Produkt seiner Umwelt. In meinem Fall zwang ein Meilenstein in meiner Ausbildung mich dazu all mein Verständnis zu vergessen und diesem Lärm ein Ende zu setzen, um die nötige Konzentration zu finden, die meine Arbeit mir abverlangte. Zu meiner Ehrenrettung muß ich hinzufügen, daß es sich nicht lediglich um eine wöchentliche Probe von ein paar Stunden handelte, die meine kreativen Phasen unterbrach, sondern das der Schlagzeuger sich die ganze Woche ü ber an seinem Instrument vergnügte.
Ich begab mich also auf die Suche nach dem Störenfried, doch die Wohnungstür über mir, nur hierher konnte der Lärm her sein, war ein toter, längst nicht mehr benutzter und namenloser Eingang. Wilde Gedanken durchstoben mein Hirn. Saß dort gar ein Eingemauerter, der lediglich durch einen Schlitz mit dem Nötigsten versorgt wurde? War dahinter vielleicht der Drummer mit der eisernen Maske, oder ein Schlagzeug spielender Kasper-Hauser? Nein, es mußte dafü r eine plausiblere Lösung geben. Natürlich, das Vorderhaus. Eine herrschaftliche Wohnung, die sich vom Vorderhaus bis über den gesamten Seitenflügel erstreckt. Doch zunä chst blieb es ein Mysterium, denn entweder war auch das nicht der Zugang zu der Quelle meiner Nervenfolter, oder die Wohnungsklingel kam gegen sein Paukenspiel nicht an. So saß ich nun einige Tage mit Ohrenstöpseln vor meinem Computer und wippte zum Takt der Base-Drum, die zu stoppen nicht mal die UNIMOGS unter den Ohrenstöpseln in der Lage sind.
Nebenbei wurde ich so zum Experte für lärmhemmende Geräuschbarrieren, die man sich in die Gehörgänge stopft. Heute rate ich jedem zu den schleimigen und ekligen wächsernen Original-Ohropax, wenn es wirklich auf jedes Dezibel [dB] ankommt. Ich hatte mich also an ,Ohrschutz ohne Lärm' ,hautfarbend' gewöhnt, als es mir allmählich immer lästiger wurde mein eigenes Telefon in km-Entfernung wahrzunehmen. Erst als mehrere Gesprä che an der Kommunikationsbarriere, die meine Gehörschützer darstellten, scheiterten fiel mir auf, daß es nicht normal ist mit Ohropax vor dem PC zu sitzen. Aus moralischen Gründen verbat es sich mir die Bullen zu rufen. Nicht das ich auf jeder Party am lautesten mitschreie wenn "Cop-Killer" gespielt wird, aber jeder von uns hat doch schon mal mitgesungen, als auf einem Fest genau dieser Song gespielt wurde, wenn die Bullen wegen Ruhestörung vor der Tür standen und die Party aufzulösen drohten. Durch geschicktes ausspionieren der Lebensgewohnheiten dieser musisch veranlagten Mitbewohner ist es mir dann doch gelungen in persönliche Verhandlungen mit den Musikern zu treten, deren Resultat es ist, daß ich jetzt mittels meines Telefons Herr über das ,Go-or-No' einer jeden Probe dieser Band bzw. des Drummers bin.
Doch dieses Haus hielt noch weitere Angriffe auf mein Ruhebedürfnis bereit. So wie sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen, gewöhnt sich das Ohr an die Stille. Aber viel Gewöhnung war nicht nötig um festzustellen, daß es weitere Lautstärkrterroristen auf meine Nerven abgesehen hatten, die bis jetzt im Geräuschschatten der Musiker von mir unbemerkt geblieben waren. Diese Jungs sind nicht ganz so laut, dafür jedoch um so subtiler - die hören Radio !!! Und das doch noch laut genug, um die Nachrichten im Detail verstehen zu können. Zwischen diesen Verbaleinlagen auf SAT1-Nachrichten-Niveau wird dem Genre des Radio-Techno' gefrönt. Mir ist bis heute nicht klar geworden um welchen Sender es sich dabei handelt, wie man den hören kann und vor allem warum in dieser Lautstärke. Und wieder kam mir der Gedanke; die Bullen! Aber nein; die Moral!
Moment mal die haben ja gar keine Party, nicht mal eine Probe. Die sitzen da ja nur allein vor einem Base-Cap- oder Handytaschenkatalog und trinken Coca-Cola. Aber ganz das Schwein war ich dann doch nicht und gab, wem auch immer, noch eine Chance. Mit karierter Baskenmütze, Lupe und Stethoskop untersuchte ich in bester Holmesmanier das Haus. Und entlarvte eine plärrende werbegeschenkte Plaste-Anlage, die im hintersten Abstellraum des unter mir ansässigen Cannon-Shops, wie angestochen schrie, als den Ursprung meines Seelenungleichgewichtes.
Ob ich jetzt zufrieden bin? Um ehrlich zu sein ist mir nicht viel geblieben, außer ein paar gelegentlichen Anrufen im Cannon-Shop. Die Musiker scheinen sich meiner Willkür auch nicht mehr aussetzen zu wollen und haben entweder mich ausspioniert und proben nur wenn ich weg bin, oder haben sich einen Proberaum gesucht.
Sehr still ist es geworden hier. Zu still !!! Ich lasse jetzt immer Tag und Nacht mein Küchenradio auf voller Lautstärke laufen, denn sonst würde ich in dem ehemaligen Lautstärke-Sumpf, der durch meine Melioration zur Akustikwü ste wurde, verdursten.

Seitenanfang

Inhalt

Home

mail to:wb13@bigfoot.de